Das Filmprogramm

1 Das Filmprogramm

Ein Kino definiert sein Profil vorrangig und wesentlich über das Filmprogramm. Da angesichts der Fülle der Filmstarts kein Filmtheater das gesamte Angebot abdecken kann, müssen auch große Häuser eine Auswahl treffen. Während sich Mainstream-Kinos vor allem an den zu erwartenden Besucherzahlen orientieren und darüber hinaus eine gezielte Zielgruppenarbeit betreiben, spielen bei Arthouse- und kommunalen Kinos inhaltliche Überlegungen eine größere Rolle. Das Kino tritt hier bewusst als Mittelsperson auf, die aus dem Angebot eine individuelle Kollektion zusammenstellt und damit ein Vertrauensverhältnis zum Publikum aufbauen will. Das Filmprogramm ist immer das Ergebnis einer Melange aus wirtschaftlichen Überlegungen (Was läuft gut? Zu welchen Bedingungen kann ich buchen?), Verfügbarkeit (Welche Filme sind aktuell über einen Verleih verfügbar? Welche Filme sind bereits regionalen Mitbewerbern zugesichert?), inhaltlichen und ästhetischen Überzeugungen (Was ist ein guter, wichtiger, interessanter Film?) und gezielter Zielgruppenarbeit (Wer ist mit meinem Kino verbunden? Wen würde ich gerne an mein Kino binden?).

Bei der Programmplanung und Disposition gilt es, das Potenzial eines Filmes richtig einzuschätzen und ihn entsprechend einzusetzen. Dabei hilft es, sein Publikum gut zu kennen, um bestmöglich auf die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen eingehen zu können. So schätzen laut FFA-Kinobesucherstudie 2019 fast 60 % der Über-60-Jährigen Vorstellungen vor 18 Uhr und gehen im Gegensatz zur jüngeren Zielgruppe auch noch Wochen nach dem Filmstart ins Kino. Entsprechend ist bei einigen Filmen ein Einsatz am Nachmittag und über mehrere Wochen hinweg sinnvoll, bei anderen eher die Primetime (20–21 Uhr) zum Start. Die meisten Kinos planen wochenweise – montags werden die Einsätze ab Donnerstag verhandelt –, Programmkinos und kommunale Kinos mitunter auch in einem Zweiwochen- oder Monatsrhythmus.

2 Neustarts

Für die meisten Kinos stellen Kinoneustarts das Kerngeschäft dar – mehr als die Hälfte aller Kinobesuche finden in den ersten zwei Wochen nach Filmstart statt. Im Jahr 2019 kamen in Deutschland mehr als 600 neue Filme ins Kino, an die 12 pro Woche. Auf der Webseite des Verbands der Filmverleiher werden die Filmstarts der kommenden Monate veröffentlicht, und im Archiv sind die Starts der letzten 35 Jahre einsehbar. Noch etwas vollständiger, aber auch kostenpflichtig ist die Filmstart-Übersicht des Branchenmagazins Blickpunkt:Film. Bis 2020 erschien der „Verleihkatalog“ von Filmecho/Filmwoche , der neben den Neustarts auch ein Verzeichnis aller schon gestarteten und derzeit in einem deutschen Verleih erhältlichen Filme bot. 

Eine gute Möglichkeit, sich über die Filme der kommenden Monate zu informieren, bieten die Filmmessen und Tradeshows der Branche. Hier zählen der Kinokongress des HdF im Frühjahr und die Filmkunstmesse Leipzig der AG Kino – Gilde e. V. im September zu den wichtigsten Veranstaltungen. Neben einem umfangreichen Filmprogramm bieten Messen in Seminaren und Workshops die Möglichkeit, sich mit aktuellen Fragestellungen des Marktes zu beschäftigen. Im Januar und August bieten die Filmwoche München und die Filmmesse Köln einen Überblick über das Mainstream-Angebot und im Februar zeigen die AG Kino-Gilde-Screenings während der Berlinale Voraufführungen kommender Arthouse-Produktionen. Tradeshows werden rund ums Jahr auch von einzelnen Verleihfirmen angeboten. Ebenso empfiehlt sich zur Sichtung von Neuproduktionen der Besuch der großen deutschen und internationalen Filmfestivals: Filmfest Rotterdam, Berlinale, Internationale Filmfestspiele Cannes, Münchener Filmfest, Filmfest Locarno, Internationales Filmfestival Karlovy Vary, die Biennale Venedig oder das Toronto International Film Festival.

In der Regel sind Kinobetreiberinnen und -betreiber auf Anfrage auch in Pressevorführungen (siehe „Filmbewerbung und Verleihmarketing“) herzlich willkommen. Ausnahmen stellen die Previews sehr großer Filmstarts dar, bei denen der Zugang bisweilen streng reglementiert ist. Bei kleineren Filmstarts und Verleihfirmen ist es zumeist möglich, einen Sichtungslink anzufordern, um einen Film vorab zu sichten.

Ein wichtiges Instrument für die Filmrecherche ist natürlich auch das Internet. Die meisten Film- und Kino-Webseiten  veröffentlichen Filmbesprechungen erst kurz vor/zum Filmstart. Relativ frühzeitige Besprechungen lassen sich vor allem zu Filmen finden, die auf renommierten Festivals gelaufen sind. Die Brachenwebseite der AG Kino- Gilde programmkino.de und die deutschsprachige Seite filmstarts.de informieren möglichst früh über Kinostarts. filmstarts.de bietet neben eigenen Rezensionen auch Verleih-Pressetexte und Links zu Filmbesprechungen in Zeitungen und Zeitschriften. Zu Filmen, die in Deutschland noch nicht gestartet sind, lassen sich oftmals auf internationalen Portalen Informationen finden, beispielsweise auf der Schweizer Seite cineman.ch, in der internationalen Filmdatenbank imdb.com oder auf dem dem englischsprachigen Portalrottentomatoes.com , das Filmbesprechungen aus wichtigen internationalen Filmmedien zusammenstellt. Eine Auswahl von Film-Webseiten und -Magazinen findet sich unter „Ressourcen“.

Hackesche Höfe Kino, Berlin, Copyright: INDIEKINO BERLIN, Fotografin: Marei Wenzel

3 Zielgruppenspezifische Angebote

Neben den Neustarts bieten die allermeisten Kinos regelmäßig stattfindende Sonderprogramme an, die sich zumeist an spezielle Zielgruppen richten und oft auch feste monatliche oder wöchentliche Termine haben. In Sneak Previews zeigen Kinos Überraschungsfilme ohne Ankündigung kurz vor dem offiziellen Starttermin; die „Sneaks“ dienen dabei auch den Verleihen für eine erste Zuschauerrückmeldung. Bei den Ladies Nights der CinemaxX-Theater und den Echte Kerle-Abenden der Cineplex-Gruppe spielen die Kinos in Kooperation mit Markenartiklern Filme für ein weibliches oder männliches Publikum – mit Vorprogramm und zum ermäßigten Eintrittspreis, der auch ein Glas Sekt oder eine Flasche Bier beinhaltet. Das Midnight Special/Spätfilmkino/Horrorkino feiert ein Comeback und es gibt an vielen Orten Klassiker-Vorführungen sowie OmU-Tage, an denen Filme in der Originalfassung mit Untertiteln gezeigt werden. Während die zielgruppenspezifischen Angebote zumeist von den Kinos organisiert werden, gibt es auch Verleihfirmen, die Kinos regelmäßig mit Sonderprogrammen beliefern. So kuratiert Salzgeber die Queerfilmnächte, die in über 30 Städten in Deutschland und Österreich zu Gast sind, und interfilm gibt mit Shorts Attack monatlich ein neues Kurzfilmpaket heraus. Die allermeisten Kinos bieten regelmäßig Kinder-, Jugend- und Schulkino an (siehe „Kinder-, Jugend- und Schulkino“).

4 Alternative Content & Event-Kino

Neben dem klassischen Verleihmarkt gibt es eine Reihe von Anbietern (wie z.B. CinemaConsult, Magnitudo Film), die sich auf Alternative Content, sprich einmalig stattfindende digitale Sonderprogramme spezialisiert haben. Dazu gehört die Live-Übertragung von Sportveranstaltungen, Rock- und Klassikkonzerten sowie Opern- oder Ballettaufführungen renommierter Häuser wie das Royal Opera House oder Bolschoi-Ballett. Die Reihe „Exhibition on Screen“ verbindet dokumentarische Informationen zu berühmten Malerinnen und Malern mit einem virtuellen Ausstellungsbesuch. Ähnlich gelagert sind Versuche, Neustarts und Wiederaufführungen als einmalige Events zu vermarkten, um durch die Zeitverknappung möglichst viele Fans auf einmal zu mobilisieren, etwa bei der Beatles-Doku „The Beatles: Eight Days a Week“ und der Wiederaufführung von „Apocalypse Now“, auch bei Anime-Starts wie „Your Name“ ist das in der Regel der Fall. Die meisten der Filme sind auf Wunsch später auch im regulären Programm einsetzbar. Zur Event-Kino-Vermarktung gehören auch die Gala-Premieren großer Produktionen in Schlüsselstädten mit Prominenten, Autogrammstunden und rotem Teppich, Public Viewing-Angebote oder Fan-Events wie eine lange „Herr der Ringe“-Nacht.

5 Kuratiertes Kino

Programmkinos und kommunale Kinos setzen beim Filmprogramm auf Individualität und stehen beim Publikum für ein persönliches, anspruchsvolles Programm. Neben einer gezielten Auswahl der möglichen Neustarts schärfen eigene Entdeckungen, lokale Festivals oder thematische Filmreihen das Profil eines Kinos. Für eine besonders engagierte Arbeit bei der Programmierung vergeben die meisten Länderförderer sowie die/der Beauftragte für Kultur und Medien jährlich Kinoprogrammpreise sowie Sonderpreise in den Kategorien Dokumentarfilm und Kinderfilm (siehe „Kinoförderung“).

Immer vielfältiger werden im Zuge der Digitalisierung die Möglichkeiten, eigene filmische Schwerpunkte zu setzen. Viele Kinos stellen Filmreihen zu bestimmten Themen oder für ein bestimmtes Publikumssegment zusammen: Länderreihen, Retrospektiven, Queeres Kino, B-Movie-Schätze, feministisches Kino, politische Dokus, Nachwuchsarbeiten, Kurzfilme, regionales Kino, Filmklassiker, um nur einige Schlagworte zu nennen. Dabei muss nicht die gesamte kuratorische Arbeit im Lichtspielhaus geleistet werden. Immer wieder werden Filmpakete angeboten, wie die „Femmes Totales“-Reihe des eksystent Filmverleihs, die Fellini-Retrospektive von missingFilms oder die Länderreihen „Cinema Italia!“ und „Cinespañol“. Manche Filmverleihe haben sich auf bestimmte Schwerpunkte spezialisiert und stehen gerne als Partner bei der Programmplanung zur Verfügung.

Durch die digitale Restaurierung ist immer mehr Repertoire in guter Qualität (abhängig von der Leinwandgröße sollten es mindestens 2K Auflösung sein) und in multiplen Sprachfassungen für eine Wiederaufführung im Kino verfügbar. Einige Verleihfirmen wie Universal Pictures oder Studiocanal arbeiten gezielt an der Wiederverfügbarmachung ihres Back-Katalogs für Kinos als DCP. Bei ausgefalleneren Wünschen müssen Kinos oft auf eine Handels-Blu-Ray zurückgreifen und die Lizenzen direkt mit den Rechteinhabern verhandeln (siehe „Die Filmbestellung“). Eine Übersicht über bei deutschen Verleihfirmen verfügbare Filme bieten die Homepage des VdF und der kostenpflichtige Verleihkatalog von Filmecho/Filmwoche. Mögliche Rechteinhaber lassen sich auch über die Internet Movie Data Base recherchieren.

Vom Nischenprodukt hat sich der Dokumentarfilm zu einem festen Bestandteil des Kinoprogramms entwickelt. Dokumentarfilme konkurrieren mittlerweile auf Festivals mit Spielfilmen um Publikumspreise und erobern die Arthouse-Kinocharts. Sie machten im Jahr 2019 24 % aller Kinostarts aus, verbuchten allerdings nur 1,8 % aller verkauften Tickets. Mit einem zielgenauen Marketing können Dokumentarfilme ein thematisch interessiertes Publikum („built-in audience“) erreichen, beispielsweise politisch oder ökologisch Interessierte oder Fans einer bestimmten Band oder Sportart. Auf Dokumentarfilm spezialisierte Verleihfirmen sind beispielsweise Real Fiction Filmverleih, W-film und mindjazz pictures.

Wichtige Ansprechpartner für den Kurzfilm sind die KurzFilmAgentur Hamburg, die Berliner interfilm und die AG Kurzfilm e. V., die die Interessen der Kurzfilmszene bündelt und einmal im Jahr ein Tourneeprogramm mit den Gewinnern des deutschen Kurzfilmpreises zusammenstellt.

Viele Kinos setzen bei der Programmarbeit auf Kooperationen mit Partnern vor Ort. Das kann die Vermietung des ganzen Kinos oder einzelner Säle an ein Festival sein, die Überlassung eines Programmtermins an einen externen Veranstalter oder gemeinsam geplante Events und Filmreihen mit Filmclubs, Vereinen, Kulturinstitutionen, Schulen oder Bürgerinitiativen. Kooperationen benötigen eine gute, kontinuierliche Kommunikation und intensive Betreuung, sie bieten im Gegenzug die Chance, ein diverses Programm anzubieten und über die Netzwerke der Kooperationspartner neue Zuschauergruppen anzusprechen.

Ein weiterer Baustein engagierter Programmgestaltung ist die direkte Ansprache und Einbindung des Publikums. Viele Verleihe organisieren zum Start deutscher Produktionen Kinotouren, auf denen Filmschaffende Filmtheater besuchen, und auch abseits solcher Kinotouren laden Arthouse- und kommunale Kinos regelmäßig Gäste zu Filmgesprächen ein. In einigen Häusern gehört eine persönliche Begrüßung des Publikums und Einführung vor dem Film zum Profil. Eine Beteiligung an der Programmgestaltung bieten hauseigene Filmclubs, Wunschfilmabende oder „Open Screen“-Veranstaltungen, bei denen Amateurfilmschaffende eigene Arbeiten präsentieren können.

6 Digitale Zusatzangebote

Zusätzlich zum analogen Filmangebot vor Ort bieten einige Kinos über ihre Website einen digitalen Sichtungsraum an, in dem Filme online geschaut werden können. Mit „Cineplex Home“ betreibt die Cineplex-Gruppe in Zusammenarbeit mit Videociety einen eigenen VoD-Kanal. Einige Arthouse-Kinos und kommunale Kinos bieten in Zusammenarbeit mit dem VoD-Portal „Kino on Demand“ oder der „Cinema Lovers“-Plattform des Bundesverbandes für kommunale Filmarbeit und des Hauptverbandes für Cinephilie ein digitales Zusatzangebot an. Derzeit sind die eigenen digitalen Angebote der Kinobranche noch kein wirtschaftlicher Faktor und verstehen sich vor allem als Marketingmaßnahme und kuratorische Ergänzung zum analogen Programm. Die Abwanderung des Publikums an große Streaming-Portale soll, gerade im Zeichen der Coronavirus-Pandemie, verhindert werden.

7 Ressourcen

Kinostarttermine & Filmbesprechungen

Kinostarttermine in Deutschland: vdfkino.de

Übersicht über alle in Deutschland verfügbaren Filme (kostenpflichtig): verleihkatalog-online.de

Sehr frühe Filmkritiken, Presseschau: filmstarts.de

Deutsche Filme, Filmgeschichte: filmportal.de

Filmkritiken und Kinospieltermine: kino-zeit.de, indiekino.de

Filmkritiken online: critic.de, perlentaucher.de, artechock.de/film

Filmkritiker-Community: moviepilot.de

Branchenwebsite der AG Kino – Gilde, Filmkritiken dürfen von Mitgliedskinos der AG Kino-Gilde verwendet werden: programmkino.de

Filmkritiken, Festivalberichte: filmdienst.de, epd-film.de

Schweizer Filmportal: cineman.ch

Internationale Filmdatenbank: imdb.com

Internationale Filmkritiken, Presseschau, oft schon sehr früh verfügbar: rottentomatoes.com

Magazine und Zeitschriften (Auswahl)

Blickpunkt:Film: Branchenmagazin der Filmwirtschaft, mediabiz.de

Cinema: Neustarts, Charts, DVDs, Streaming, cinema.de

Kinema Kommunal: Magazin der kommunalen Kinos, kommunale-kinos.de

Black Box: Filmpolitische Informationen der AG DOK, agdok.de

EPD FILM: Filmzeitschrift des evangelischen Pressedienstes, älteste noch existierende Filmzeitschrift in Deutschland epd-film.de

Cargo: Zeitschrift für Medien, Analyse und Kultur, cargo-film.de

Deadline: Spezialisiert auf Genre-Kino, deadline-magazin.de


Gefördert durch: FFA Filmförderungsanstalt